Einschätzung Schulbuchurteil
Hintergrund: Entscheidung des BSG
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 08.05.2019 (Aktenzeichen B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R) entschieden, dass Kosten für Schulbücher vom Jobcenter als Härtefall-Mehrbedarf übernommen werden müssen, wenn diese nicht nach landesrechtlichen Bestimmungen übernommen werden oder wenn Schüler mangels Lernmittelfreiheit ihre Schulbücher selbst kaufen müssen.
Die nach § 28 Abs. 3 SGB II zu leistende Pauschale für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf nach dem Bildungs- und Teilhabepaket umfasse nach der ihr zugrunde liegenden Regelungskonzeption des Gesetzgebers nicht die Ausstattung mit Schulbüchern (BT-Drucks 17/3404 S 104 f zu § 28 Abs. 3), sondern für diese Bedarfslage verwiesen die Gesetzesmaterialien auf den Regelbedarf (BT-Drucks. 17/3404 S. 104 zu § 28: „Die Leistungen für Bildung und Teilhabe ergänzen den Regelbedarf, der weitergehende typische Bedarfslagen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch abdeckt. So ist insbesondere die Anschaffung von Schulbüchern vom Regelbedarf umfasst, soweit die Länder nicht ohnehin Lehrmittelfreiheit gewähren.").
Die Kosten für Schulbücher sind demzufolge zwar dem Grunde nach vom Regelbedarf erfasst, nicht aber in der richtigen Höhe, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht. Denn der Ermittlung des Regelbedarfs liegt eine bundesweite Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zugrunde. Da Schulangelegenheiten Ländersache sind, regeln die jeweiligen Bundesländer die Kostenübernahme für Schulbücher unterschiedlich. In der Mehrzahl der Länder sehen deren schulrechtliche Bestimmungen eine vollständige Lernmittelfreiheit durch unentgeltliche Ausleihe von Schulbüchern vor. In die statistische Berechnung des Regelbedarfs haben daher auch Haushalte der Länder Eingang gefunden, in denen Ausgaben für Schulbücher nicht oder zumindest in signifikant geringerer Höhe anfallen. „Deren Ergebnis für Schulbücher ist folglich nicht auf Schüler übertragbar, für die anders als in den meisten Bundesländern keine Lernmittelfreiheit in der Oberstufe gilt“, so das BSG.
Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern sind im Regelbedarf altersabhängig unter der Abteilung 09 - Freizeit, Unterhaltung, Kultur und hierin unter „Bücher und Broschüren“ in Höhe von 3,01€ (Kind bis 5 Jahre) bis 3,97€ (junge Erwachsene von 18 – 24 Jahren) enthalten.
In Nordrhein-Westfalen werden jeder Schülerin und jedem Schüler vom Schulträger entsprechend eines festgelegten Durchschnittsbetrages - abzüglich eines Eigenanteils - Lernmittel zu befristetem Gebrauch unentgeltlich überlassen (Prinzip der Ausleihe). Der zu leistende Eigenanteil bestimmt sich nach § 96 Abs. 3 SchulG NRW i.V.m VO zu § 96 Abs. 5 SchulG.
Nach dem BSG-Urteil erlassene Beschlüsse/Urteile
In der Folge haben jetzt auch schon zwei Sozialgerichte in NRW (SG Köln v. 29.05.2019 – S 40 AS 352/19; SG Düsseldorf v. 5.08.2019 – S 35 AS 3046/19 ER) sowie das Sozialgericht Dessau-Roßlau (Urteil vom 20.06.2019 - S 3 AS 1283/18) entschieden, dass die Eigenanteile für Schulbuchkosten in voller Höhe als Härtefall-Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II auf Zuschussbasis zu übernehmen sind. Die Entscheidung des SG Düsseldorf betrifft dabei den Fall einer ALG II-leistungsberechtigten Familie aus Mönchengladbach, deren Antrag auf Übernahme des Eigenanteils für Schulbücher in Höhe von 96,94€ vom Jobcenter Mönchengladbach abgelehnt worden war. Dabei hat das SG Düsseldorf ausdrücklich betont, der Anspruch sei eindeutig und keine Beschwerde gegen den Beschluss zugelassen.
Ausblick
ALG II-Leistungsbeziehenden in Mönchengladbach, die einen Eigenanteil für Schulbücher leisten müssen, ist derzeit zu raten, die Kostenübernahme schriftlich beim Jobcenter zu beantragen und bei Ablehnung des Antrags Widerspruch einzulegen. Bei besonderer Eilbedürftigkeit aufgrund der Höhe des zu leistenden Eigenanteils ist zudem zu erwägen, eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht Düsseldorf zu beantragen. Das Sozialgericht Düsseldorf hat bereits bei einem Betrag von 96,94€ Eilbedürftigkeit gesehen. Bei Beträgen in dieser Höhe oder höher dürften die Erfolgsaussichten sehr groß sein. Ob das SG Düsseldorf auch bei darunter liegenden Beträgen Eilbedürftigkeit sieht, ist offen.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW (MAGS) hat bereits einen Erlass an die 18 kommunalen Jobcenter herausgegeben und dies über die Rechtsauffassung des MAGS, dass die im Rahmen des Eigenanteils anfallenden Kosten für Schulbücher anfallen, als Härtefall-Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind. Kommunale Jobcenter sind die Jobcenter, die die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne die Bundesagentur für Arbeit erfüllen („Optionskommunen“). Sie werden auch als „Optionskommunen“ bezeichnet. In Nordrhein-Westfalen sind das 18 von 53 Jobcentern. Die Optionskommunen unterstehen der Rechtsaufsicht des Landesarbeitsministeriums.
Das Jobcenter Wuppertal hat den Anspruch auf Übernahme der Schulbuchkosten bereits auf seiner Internetseite veröffentlicht, siehe: https://www.jobcenter.wuppertal.de/meldungen/meldungen-2019/eigenanteil-fuer-schulbuecher-wird-erstattet.php
Die anderen 35 Jobcenter, darunter das Jobcenter Mönchengladbach, werden als sogenannte „Gemeinsame Einrichtungen“ gemeinsam von der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen getragen. Die Bundesagentur für Arbeit untersteht im Hinblick auf die Übernahme der Schulbuchkosten der Aufsicht des Bundesarbeitsministeriums. BA und das BMAS sind nun gefordert, eine der Weisung des MAGS entsprechende Regelung zu erlassen, um ALG II-Leistungsbeziehenden und den Jobcentern weitere sozialgerichtliche Verfahren in der Frage zu ersparen.






