Ausgepackt: Hinter verschlossene Türen schauen - Prekäre Arbeit in der Logistik und Leiharbeit
„Menschenwürdige Arbeit ist das sicherste Fundament für Würde, Stabilität und Frieden.“ Das sind Worte von Kofi Annan und die Bedeutung dieser Worte, die hat mich tatsächlich in den letzten zehn Jahren in meiner Arbeit dann noch sehr begleitet.“ So, leitet die Moderatorin dieses Abends, Yvonne Jeurißen, Leiterin des kommunalen Integrationsmanagement der Stadt MG, das Thema zum „Welttag menschenwürdige Arbeit“ „Hinter verschlossene Türen schauen – Logistik und Leiharbeit in Mönchengladbach“ ein.
Etwa 40 Gäste sind der Einladung eines breiten Trägerbündnisses gefolgt und haben den Weg zum Veranstaltungsort Arbeitslosenzentrum Mönchengladbach gefunden.
Über dem Eingang zum Versammlungsraum steht „Gute Stube“. Was dann in den folgenden zwei Stunden folgte und was dort über die Zustände in der deutschen Logistikbranche und insbesondere in der Region Mönchengladbach zur Sprache kam, war alles andere als würdevoll.

Vier Experten berichteten von einem Alltag, in dem Ausbeutung, Unsicherheit und Willkür keine Ausnahme, sondern System sind. „So lange sie funktionieren, dürfen sie bleiben – im Schnitt fünf Jahre“, beschreibt ein Betriebsrat die Realität vieler Beschäftigter. Gemeint sind meist junge, kräftige Menschen aus Osteuropa, Südeuropa oder Afrika, die mit befristeten Verträgen schuften, um ihren Aufenthalt zu sichern. Sie steigen meist ein mit Verträgen bei Leiharbeitsunternehmen. Eine Übernahme beim Unternehmen, bei dem die Leistung erbracht wird, gelingt bestenfalls danach – aber auch wieder nur befristet. Es folgt eine Phase von Arbeitslosigkeit und dann wieder ein befristeter Arbeitsvertrag – bis zu fünf Jahren dauert dieser Prozess. Nur fünf von hundert erhalten später eine Festanstellung.
Zehn-Stunden-Schichten, schwere körperliche Arbeit, fehlende Pausen – das seien keine Einzelfälle, sondern Normalität. Gewerkschaftliche Organisation? Kaum möglich. „Viele Kollegen sprechen kein Deutsch, Betriebsratsarbeit ist so fast unmöglich“, heißt es. Wer sich wehrt, riskiert Job, Wohnung und Aufenthalt – das zeigt sich auch darin, dass der Betriebsrat nicht namentlich genannt werden möchte, um nicht in der Woche noch mit Schwierigkeiten konfrontiert zu werden.

Szenenwechsel:
„Hinter verschlossenen Türen“ hat in Sachen menschenwürdige Arbeit eine große Symbolkraft. Vielfach sind die Auswirkungen und die Menschen, die da tatsächlich in prekären und ausbeuterischen Beschäftigungen tätig sind, überhaupt nicht sichtbar. Dies macht Nicole Wölke von Koordinationskreis kirchlicher Arbeitslosenarbeit mit einer Alltags-Geschichte einer alleinerziehenden Mutter deutlich:
Sie knüpft an Strukturen, die auf Verschleiß von Menschen angelegt sind.
Die Geschichte erzählt von einer Frau, die exemplarisch so oder so ähnlich überall hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die Frau, eine Mutter, alleinerziehend, eins im Kindergarten und eins im Grundschulalter, schläft auf der Couch im Wohnzimmer. Sie hat kein eigenes Zimmer, sie steht jeden Morgen um 4.45 Uhr auf, macht sich fertig. Die Taktung ist den ganzen Morgen gegeben, dass genaue Zeiten eingehalten werden müssen, damit sie ihren morgendlichen Ablauf auch schaffen kann. 5:30 Uhr werden die Kinder geweckt- Sie bereitet alles vor, sie macht zwischendurch auch schon mal Vorbereitungen ür das Abendessen, schaut, dass auch die Wohnung schon mal halbwegs sauber ist. Sie bereitet drei Brotdosen vor. Der Sohn fährt mit dem Bus alleine zur Schule. Mit Gongschlag 7 Uhr wird die Tochter in der Kita abgegeben. Und dann kann die Mutter sich verabschieden, schnell auf den Weg zum Bahnhof sich begeben und dort um 7.20 Uhr den Zug zu nehmen. Wenn sie dann um 7.45 Uhr aussteigt und dann noch die letzten Meter zur Arbeit geht, um sich auch noch umzuziehen, Arbeitskleidung anzuziehen, sich quasi dann einzuloggen in das Arbeitserfassungssystem, ist sie dann um 8 Uhr am Arbeitsplatz.
Kurz drauf fragt der Chef sie zum wiederholten Male: Können Sie eigentlich nicht früher anfangen?
Ein kleiner Einblick, wie das Leben hinter einer verschlossenen Tür aussieht. Hinter verschlossenen Türen hat an der Stelle tatsächlich eine große Symbolkraft. Vielfach sind die Auswirkungen und die Menschen, die da tatsächlich in prekären und ausbeuterischen Beschäftigungen tätig sind, überhaupt nicht sichtbar. Nicole Wölke berichtet von einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung und der Arbeitnehmerkammer Bremen – dort wird festgestellt: Die Dunkelziffer ist extrem hoch. Sozialwissenschaftliche Hochrechnungen zu Folge ist aber mindestens von 100- 200.000 Personen alleine in Deutschland die Rede – und da „hängen ja dann die Kinder noch hinten dran“.

In Mönchengladbach, so die Podiumsteilnehmer, begegnet man täglich der Verletzung der Menschenwürde bei der Arbeit. Ganze Familien ziehen als moderne Wanderarbeiter von Logistikzentrum zu Logistikzentrum – über Spanien, Italien nach Deutschland.
Überleben gelingt in Deutschland oft nur mit Hilfe ergänzender staatlicher Sozialleistungen, die Löhne reichen einfach nicht aus. Oft landen Sie dann beim Arbeitslosenzentrum, und suchen nach Beratung und Hilfe – meist schon in ausschließlich englischer Sprache, da denen, die sich für uns abrackern im System der Arbeit in Unternehmen meist kein Sprachkurs zusteht oder gewährt wird.
Wohnen ist für die Wanderarbeit ein großes Problem, nicht selten hausen Sie, wie aus Duisburg bekannt, in überteuerten Massenunterkünften.
Ein staatliches Interesse, diese Situation menschenwürdig zu gestalten, und vor Allem darüber mehr zu wissen, wächst erst langsam. Berater Karl Sasserath vom Arbeitslosenzentrum fordert daher, wie in den Niederlanden schon seit Jahren praktiziert, ein Monitoring, um über die geschätzt 50.000 Menschen, die mit ihren Familien in der Stadt und Region sich zumindest vorübergehend niedergelassen haben, mehr zu erfahren und politisch gestaltend sich um diese Menschengruppe zu kümmern. „Sonst bleibt ein System, das ausgrenzt, ausnutzt und aussortiert – und in dem Rassismus und ökonomische Abhängigkeit Hand in Hand gehen.“
Denn auch das wird an dem Abend deutlich: Die in Mönchengladbach mit dem historischen Volksverein für das katholische Deutschland bekannte Tradition von unternehmerischer Verantwortung spielt in der gesamten Logistikbranche und den dort führenden Unternehmen weder sozial- noch gesellschaftlich eine Rolle.
Solange aber Politik und Wirtschaft von billiger Arbeit profitieren, billige Arbeit gar als Repression gegenüber der Mittelschicht eingesetzt wird, bleibt Ausbeutung kein Zufall.
„Menschenwürdige Arbeit ist das sicherste Fundament für Würde, Stabilität und Frieden.“ so begann der Abend. Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan rief mit dem Global Compact Unternehmen dazu auf, sich an internationale Sozial- und Arbeitsstandards zu halten. Doch zwischen Hochglanzkodex und Lagerhalle klafft eine bittere Lücke.
Eine „Gute Stube“ für die Beschäftigten auch in Leiharbeit und Logistik, für menschenwürdige Arbeit und Leben in unserem Gemeinwesen einzurichten, dazu kann jeder Einzelne etwas verändern – durch Solidarität, gewerkschaftliches Engagement und die Forderung nach echter Menschenwürde in der Arbeitswelt.
Veranstalter: Bündnis soziale Gerechtigkeit Mönchengladbach mit den Mitgliedern
- Arbeitslosenzentrum Mönchengladbach
- Bündnis für Menschenwürde und Arbeit
- Caritasverband Mönchengladbach e.V.
- Der Paritätische Mönchengladbach
- DGB Mönchengladbach
- Diakonie Mönchengladbach
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft – Stadtverband Mönchengladbach
- Koordinationskreis kirchlicher Arbeitslosenarbeit im Bistum Aachen
- Katholische Betriebsseelsorge
- Lebenshilfe Mönchengladbach e.V.
- Pro Retina
- SKM – Sozialdienst Katholischer Menschen Mönchengladbach
- Volksverein Mönchengladbach gGmbH
- Stiftung Volksverein






