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"Das ALZ ist wie ein Hafen, in dem man sich angenommen fühlt"
Dietmar B. (60) hat nach einem bewegten Leben durch das Arbeitslosenzentrum (ALZ) wieder Struktur in seinen Alltag bekommen
Von Gabriele Schulz
Dietmar B. (60) hat ein sehr bewegtes Leben hinter sich: 15-20 Jahre Heroinkonsum, 7 1/2 Gefängnis, eine HIV-Infektion. Das Arbeitslosenzentrum hat ihm dabei geholfen, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Aufgewachsen ist er relativ behütet, seine Mutter war Schneiderin, sein Vater Klempner. Allerdings war sein Vater recht dominant. Nach dem Besuch der Hauptschule in Hardt hat er ihn zu einer Lehre als Schriftsetzer gedrängt, die B. nach 2 1/2 Jahren abgebrochen hat. "Damals hatte ich einen großen Freiheitsdrang. Die Lehre war nicht so wichtig. Später habe ich mich geärgert und gefragt, warum ich alle Chancen in den Wind gesetzt habe, die ich je hatte", sagt B.
"Wie waren rebellisch, wollten frei sein und uns von den Erwachsenen abgrenzen." (Dietmar B., 60)
Die Drogenkarriere von B. begann ziemlich früh. Mit zwölf, dreizehn Jahren ging es mit Alkohol und Zigaretten los. "Wir waren rebellisch, wollten frei sein und uns von den Erwachsenen abgrenzen. Das hatte viel mit dem Generationenkonflikt zu tun", sagt der 60-Jährige. In der Bundeswehrzeit hat B. dann mit Heroin angefangen. Seine Freunde waren damals "alle drauf. Plötzlich war ich nah dran, habe gesehen, wie sie konsumiert haben". Durch seine Freunde wurde B. eher gewarnt, keiner wollte ihm was geben. Das hat seine Motivation, Heroin zu probieren, eher noch verstärkt. Zusammen mit seinem Freund hat er dann zum ersten Mal Heroin konsumiert. Der Reiz daran war für ihn das "Feeling". "Drauf" war B. ziemlich schnell, so dass er bald beim Morgenappell auf Entzug war und nach einiger Zeit alle vier Stunden einen Schuss brauchte. "Die Spirale ging dann immer weiter", erzählt B. In den 80ern fand er sich in Amsterdam wieder, konsumierte Heroin und Koks gemischt und verkaufte auch Drogen, um seinen Konsum zu finanzieren. Die Sucht wurde richtig schlimm. Der Junkie bekam Verfolgungswahn. B.:"Es war ein Fass ohne Boden". Manchmal habe er 20 Cocktails am Tag konsumiert. Auch der alte Freundeskreis bestand längst nicht mehr. "In der 80ern war die Party vorbei", sagt B. "Die meisten waren kaputt, die ersten in Therapie. Jeder ging seine eigenen Wege. Man war nicht mehr Teil eines Rudels, sondern ein einsamer Wolf". B.s Vater sagte in dieser Zeit einmal zu ihm: "Du warst immer jemand, der frei sein wollte. Mit dem Heroin bist Du nicht mehr frei."
Insgesamt 7 1/2 Jahre hinter Gittern
Mit dem Drogenkonsum begann dann auch die kriminelle "Karriere" von B. 1976 gab es das erste Gerichtsverfahren - wegen der Einfuhr von Drogen aus Holland. "Wir wurden ständig durchsucht und verfolgt wie Schwerstkriminelle", sagt B. Später folgten Raubüberfälle und der organisierte Drogenhandel. Insgesamt 7 1/2 Jahre war der 60-Jährige hinter Gittern. B.: "Der Knast verändert einen. Man hat in geballter Form mit Leuten zu tun, die mehr kriminell sind als süchtig. Das ist nicht günstig für einen jungen Menschen." Ein Gutes hatten die Gefängnisaufenthalte jedoch für B. Dort hatte er seine erste Beziehung mit einem Mann. Mit etwa 40 Jahren outete er sich als schwul und hat seitdem nur Beziehungen mit Männern.
Die HIV-Infektion war "wie ein Todesurteil" (Dietmar B.)
Mitte der 80er Jahre dann ein großer Schock: B. ist HIV-positiv! "Das war wie ein Todesurteil" sagt der heute 60-Jährige. "Ich wusste, da sterben alle dran, also ich auch". Seit diesem Zeitpunkt hat B. das Heroin als eine Art "Gnadenbrot" angesehen. Seinen Eltern hat er erklärt: "Ich weiß, dass ich sterbe und das Heroin hilft mir, dass es nicht so schwerfällt". Eine Zeitlang hat B. richtig mit Heroin gehandelt, kam wieder ins Gefängnis. Hier kam er zum Nachdenken: "Vielleicht kann ich doch noch ein paar Jahre richtig leben". Er bekam Therapie statt Strafe in der Fachklinik Wendepunkt in Wesseling, danach machte er eine Methadon-Therapie, die mehrere Jahre dauerte.
Beim Mittagstisch die Lust am Essen wiedererlernen
Vom Arbeitslosenzentrum hat Dietmar B. von Bekannten erfahren. "Ich war ganz schön fertig, als ich das erste Mal hier hinkam", sagt er rückblickend. Das war 1990. Zunächst einmal musste er beim Mittagstisch wieder lernen zu essen und Spaß daran zu bekommen. Das war in den ersten Monaten ein richtiger Angang. Für B. ist das Arbeitslosenzentrum auch als Begegnungstreff wichtig. "Viele haben hier ähnliche Probleme", sagt der 60-Jährige. Man komme ins Gespräch, und das sei so wichtig "wenn man im Abseits steht". Das Arbeitslosenzentrum sei "wie ein Hafen, wo man sich sicher und angenommen fühlt". Zusätzlich hat das Arbeitslosenzentrum mit dem Mittagstisch dem Ex-Junkie eine richtige Tagesstruktur gegeben. B.: "Jeden Morgen habe ich meine Methadon bekommen, dann habe ich mittags versucht, im ALZ zu essen, danach ging's in den Begegnungsraum". Auch die Beratung ist für den 60-Jährigen wichtig. "Mit dem Jobcenter kommt man alleine nicht zurecht, da braucht man jemanden, der einem zur Seite steht", sagt B. Ganz wichtig findet er die Lage des ALZ. "Ich komme mit dem Rad oder zu Fuß zum ALZ. Wenn das Gebäude am Rande der Stadt wäre, würde das schwierig". Inzwischen nimmt B. kein Methadon mehr. Das Arbeitslosenzentrum ist aber nach wie vor sein Lebensmittelpunkt und gibt weiterhin seinem Tag Struktur.
Dietmar B. geht es heute viel besser. Er hat sich einen Freundeskreis mit Menschen aufgebaut, die er nach 1990 kennengelernt hat. Er liest gerne, zuletzt "Die Entdeckung des Himmels" von Harry Mulisch, hört gerne Musik, sowohl Jazz als auch Blues und Rock. Letztens war er sogar bei einem Stones-Konzert in Düsseldorf. Zwei bis drei Mal in der Woche besucht er seine Mutter im Altenheim. "Sie ist meine wichtigste Bezugsperson", sagt der 60-Jährige. B. nimmt gar keine Drogen mehr und geht alle zwei Monate wegen seiner HIV-Erkrankung zum Arzt. Er kann sozusagen "ganz normal leben", und daran hat das Arbeitslosenzentrum einen wichtigen Anteil.







