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Geplante Verschlechterungen bei Hartz IV
Entwurf für 9. SGB-II-Änderungsgesetz („Rechtsvereinfachung“, Stand 3.2.2016)
Beispiele für drohende Verschlechterungen:
Wohnkosten
Die Leistungen für die Heizkosten sollen beschnitten werden. Heute müssen die Jobcenter auch hohe Heizkosten erstatten, wenn diese besonderen Umständen wie etwa einer schlechten Wärmedämmung geschuldet sind. Zukünftig soll jedoch eine Einzelfallprüfung der Heizkosten nicht mehr verpflichtend sein. Die Kommunen dürfen stattdessen eine Obergrenze für die Warmmiete festlegen (§ 22 Abs. 10 SGB II neu). Dies bedeutet eine Leistungskürzung, wenn die Heizkosten nicht mehr vollständig erstattet werden.
Die Aussagen im Gesetzentwurf, mit der Gesamtangemessenheitsgrenze würden die Wahlmöglichkeiten der Leistungsberechtigten vergrößert und es würde einfacher, eine angemessene Wohnung zu finden, treffen nicht zu. In Berlin wurde bereits in der Vergangenheit auch ohne Rechtsgrundlage im SGB II mit einer Gesamtobergrenze („Bruttowarmmiete“) gearbeitet. Trotzdem war es Leistungsberechtigten kaum möglich eine angemessene Wohnung zu finden, da die Obergrenze zu niedrig angesetzt war.
Neue Straf- und Kürzungsregel
Wem unterstellt wird, er würde nicht genug unternehmen, um den Hartz-IV-Leistungsbezug zu beenden oder durch eigenes Einkommen zumindest den Auszahlbetrag zu verringern, dem droht eine Rückzahlungspflicht der erhaltenen Leistungen (§ 34 Abs. 1 SGB II neu). Da die Rückzahlungspflicht sofort beginnt, behalten die Jobcenter 30 Prozent vom Regelsatz für die „Tilgung“ ein (§ 43 Abs. 2 SGB II neu). Eine solche Erstattungspflicht gilt heute nur, wenn die Hilfebedürftigkeit „herbeigeführt“ wurde, also bei einem schuldhaften Fehlverhalten vor dem Leistungsbezug.
Von der neuen Erstattungspflicht betroffen wären beispielsweise auch Leistungsberechtigte, die der Aufforderung eine Rente zu beantragen (Zwangsverrentung), nicht nachkommen und so ihre Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten.
Erwerbstätigenfreibetrag
Entscheidet das Jobcenter mit einem vorläufigen Bescheid über einen Leistungsanspruch, dann darf es den Erwerbstätigen-Freibetrag (bis zu 230 Euro monatlich!) bei der Berechnung unberücksichtigt lassen (§ 41a Abs. 2 SGB II neu), was den Leistungsanspruch ganz erheblich kürzt.
Es ist noch nicht einmal sichergestellt, dass es am Ende des Bewilligungszeitraums einen endgültigen Bescheid gibt, der dann den Erwerbstätigenfreibetrag korrekt berücksichtigt. Wenn der Leistungsberechtigte keinen Antrag stellt und das Jobcenter untätig bleibt, dann wird aus der vorläufigen Entscheidung automatisch nach einem Jahr eine endgültige Entscheidung (§ 41a Abs. 5 SGB II neu).
Mutterschaftsleistungen
Bei Müttern ist in der so genannten Schutzfrist nicht mehr in jedem Fall gesichert, dass sie den ungekürzten Hartz-IV-Bedarf erhalten. Zukünftig sollen zwar das Mutterschaftsgeld und der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld anrechnungsfrei sein. Dafür soll in der Schutzfrist aber fiktiv angenommen werden, dass den Müttern ihr vormaliges Erwerbseinkommen weiter zufließt (§ 11a Abs. 7 SGB II neu). Dies kann zu Bedarfsunterdeckungen führen, da nicht für alle Mütter gesichert ist, dass sie in der Schutzfrist über ein gleich hohes Einkommen wie zuvor verfügen.
Begrenzung Nachzahlungen
Der Zeitraum, für den Jobcenter Leistungen für die Vergangenheit nachzahlen müssen, soll abermals begrenzt werden. Ansprüche auf Nachzahlung rechtswidrig vorenthaltener Leistungen sollen zukünftig immer erst ab dem Zeitpunkt entstehen, wenn eine „ständige Rechtsprechung“ zu dem Sachverhalt besteht, also ein strittiger Sachverhalt von den Sozialgerichten endgültig geklärt wurde (§40 Abs. 3 SGB II neu). Bisher gilt diese Begrenzung nur für den sehr seltenen Fall, dass höchstrichterliche Rechtsprechung eine einheitliche, rechtwidrige Praxis aller Jobcenter korrigiert. Ansonsten konnten bisher Leistungsansprüche über Überprüfungsanträge für das laufende und das letzte Kalenderjahr geltend gemacht werden.
Einmaleinkommen
Wurde eine einmalige Einnahme – beispielsweise eine Steuererstattung – auf sechs Monate verteilt angerechnet und ist die Einnahme vorzeitig verbraucht, dann soll nur noch ein Anspruch auf ein Darlehen bestehen (§ 24 Absatz 4 SGB II neu). Nach der Rechtsprechung des BSG besteht heute ein regulärer Leistungsanspruch, der nicht zurückgezahlt werden muss. Das Jobcenter kann lediglich prüfen, ob ein Erstattungsanspruch nach § 34 SGB II („sozialwidriges Verhalten“) besteht.
Zudem soll eine Nachzahlung, beispielsweise ein nachträglich gezahltes Erwerbseinkommen, wie eine gewöhnliche einmalige behandelt werden, wobei bestimmte Absetzbeträge nur einmal abgezogen werden (§ 11 Abs. 3 SGB II neu). Die Änderung hebelt eine günstige Rechtsprechung des BSG aus, nach der bei Erwerbseinkommen, das einmalig zufließt aber in mehreren Monaten erarbeitet wurde, die Grundpauschale auch mehrfach gewährt werden muss. Die geplante Änderung bedeutet, dass Absetzbeträge eingeschränkt werden, mehr Einkommen angerechnet wird und so der Leistungsanspruch sinkt.





